Bonne nuit,
Y a qu'à demander, le voici ce discours en allemand. Apparemment, selon la dernière note, il s'agit d'une versions provisoire sous réserve.
(et tous les discours sous
http://www.benedikt-in-bayern.de/EMF244/EMF024339.asp)
Il dit "Logos" et ajoute "Logos ist Vernunft und Wort zugleich – eine Vernunft, die schöpferisch ist und sich mitteilen kann, aber eben als Vernunft"
Papst Benedikt XVI. in Bayern
12. September 2006
Begegnung mit Wissenschaftlern
in der Aula der Universität Regensburg
Rede des Heiligen Vaters
Anmerkung: Die Schreibfehler im Text der Ansprache des Papstes sind Übermittlungsfehler und konnten wegen
der Beschaffenheit der Datei nicht korrigiert werden.
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Glaube, Vernunft und Universität.
Erinnerungen und Reflexionen.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Es ist für mich ein bewegender Augenblick, noch einmal am Pult der Universität zu
stehen und noch einmal eine Vorlesung halten zu dürfen. Meine Gedanken gehen dabei
zurück in die Jahre, in denen ich an der Universität Bonn nach einer schönen Periode an der
Freisinger Hochschule meine Tätigkeit als akademischer Lehrer aufgenommen habe. Es war –
1959 – noch die Zeit der alten Ordinarien-Universität. Für die einzelnen Lehrstühle gab es
weder Assistenten noch Schreibkräfte, dafür aber gab es eine sehr unmittelbare Begegnung
mit den Studenten und vor allem auch der Professoren untereinander. In den Dozentenräumen
traf man sich vor und nach den Vorlesungen. Die Kontakte mit den Historikern, den
Philosophen, den Philologen und natürlich auch zwischen beiden Theologischen Fakultäten
waren sehr lebendig. Es gab jedes Semester einen sogenannten Dies academicus, an dem sich
Professoren aller Fakultäten den Studenten der gesamten Universität vorstellten und so ein
wirkliches Erleben von Universitas möglich wurde: Daß wir in allen Spezialisierungen, die
uns manchmal sprachlos füreinander machen, doch ein Ganzes bilden und im Ganzen der
einen Vernunft mit all ihren Dimensionen arbeiten und so auch in einer gemeinschaftlichen
Verantwortung für den rechten Gebrauch der Vernunft stehen – das wurde erlebbar. Die
Universität war auch durchaus stolz auf ihre beiden Theologischen Fakultäten. Es war klar,
daß auch sie, indem sie nach der Vernunft des Glaubens fragen, eine Arbeit tun, die notwendig
zum Ganzen der Universitas scientiarum gehört, auch wenn nicht alle den Glauben teilen
konnten, um dessen Zuordnung zur gemeinsamen Vernunft sich die Theologen mühen. Dieser
innere Zusammenhalt im Kosmos der Vernunft wurde auch nicht gestört, als einmal
verlautete, einer der Kollegen habe geäußert, an unserer Universität gebe es etwas Merkwürdiges:
zwei Fakultäten, die sich mit etwas befaßten, was es gar nicht gebe – mit Gott. Daß es
auch solch radikaler Skepsis gegenüber notwendig und vernünftig bleibt, mit der Vernunft
nach Gott zu fragen und es im Zusammenhang der Überlieferung des christlichen Glaubens
zu tun, war im Ganzen der Universität unbestritten.
All dies ist mir wieder in den Sinn gekommen, als ich kürzlich den von Professor
Theodore Khoury (Münster) herausgegebenen Teil des Dialogs las, den der gelehrte byzantinische
Kaiser Manuel II. Palaeologos wohl 1391 im Winterlager zu Ankara mit einem
gebildeten Perser über Christentum und Islam und beider Wahrheit führte. Der Kaiser hat
wohl während der Belagerung von Konstantinopel zwischen 1394 und 1402 den Dialog
aufgezeichnet; so versteht man auch, daß seine eigenen Ausführungen sehr viel ausführlicher
wiedergegeben sind als die Antworten des persischen Gelehrten. Der Dialog erstreckt sich
über den ganzen Bereich des von Bibel und Koran umschriebenen Glaubensgefüges und
kreist besonders um das Gottes- und das Menschenbild, aber auch immer wieder notwendigerweise
um das Verhältnis der „drei Gesetze“: Altes Testament – Neues Testament – Koran.
In dieser Vorlesung möchte ich nur einen – im Aufbau des Dialogs eher marginalen – Punkt
behandeln, der mich im Zusammenhang des Themas Glaube und Vernunft fasziniert hat und
der mir als Ausgangspunkt für meine Überlegungen zu diesem Thema dient.
In der von Professor Khoury herausgegebenen siebten Gesprächsrunde (διάλεξις –
Kontroverse) kommt der Kaiser auf das Thema des Djihād (heiliger Krieg) zu sprechen. Der
Kaiser wußte sicher, daß in Sure 2, 256 steht: Kein Zwang in Glaubenssachen – es ist eine der
frühen Suren aus der Zeit, in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war. Aber der
Kaiser kannte natürlich auch die im Koran niedergelegten – später entstandenen – Bestimmungen
über den heiligen Krieg. Ohne sich auf Einzelheiten wie die unterschiedliche
Behandlung von „Schriftbesitzern“ und „Ungläubigen“ einzulassen, wendet er sich in
erstaunlich schroffer Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von
Religion und Gewalt überhaupt an seinen Gesprächspartner. Er sagt: „Zeig mir doch, was
Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie
dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“.
Der Kaiser begründet dann eingehend, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt
widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele.
„Gott hat kein Gefallen am Blut, und nicht vernunftgemäß (σν λόγω) zu handeln, ist dem
Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also
jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes
Denken, nicht aber Gewalt und Drohung… Um eine vernünftige Seele zu überzeugen,
braucht man nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die
man jemanden mit dem Tod bedrohen kann…“.
Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt
lautet: Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Herausgeber,
Theodore Khoury, kommentiert dazu: Für den Kaiser als einen in griechischer Philosophie
aufgewachsenen Byzantiner ist dieser Satz evident. Für die moslemische Lehre hingegen ist
Gott absolut transzendent. Sein Wille ist an keine unserer Kategorien gebunden und sei es die
der Vernünftigkeit. Khoury zitiert dazu eine Arbeit des bekannten französischen Islamologen
R. Arnaldez, der darauf hinweist, daß Ibn Hazn so weit gehe zu erklären, daß Gott auch nicht
durch sein eigenes Wort gehalten sei und daß nichts ihn dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu
offenbaren. Wenn er es wollte, müsse der Mensch auch Idolatrie treiben.
Hier tut sich ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten Verwirklichung
von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert. Ist es nur griechisch
zu glauben, daß vernunftwidrig zu handeln dem Wesen Gottes zuwider ist, oder gilt das
immer und in sich selbst? Ich denke, daß an dieser Stelle der tiefe Einklang zwischen dem,
was im besten Sinn griechisch ist und dem auf der Bibel gründenden Gottesglauben sichtbar
wird. Den ersten Vers der Genesis abwandelnd, hat Johannes den Prolog seines Evangeliums
mit dem Wort eröffnet: Im Anfang war der Logos. Dies ist genau das Wort, das der Kaiser
gebraucht: Gott handelt mit Logos. Logos ist Vernunft und Wort zugleich – eine Vernunft,
die schöpferisch ist und sich mitteilen kann, aber eben als Vernunft. Johannes hat uns damit
das abschließende Wort des biblischen Gottesbegriffs geschenkt, in dem alle die oft mühsamen
und verschlungenen Wege des biblischen Glaubens an ihr Ziel kommen und ihre
Synthese finden. Im Anfang war der Logos, und der Logos ist Gott, so sagt uns der Evangelist.
Das Zusammentreffen der biblischen Botschaft und des griechischen Denkens war kein
Zufall. Die Vision des heiligen Paulus, dem sich die Wege in Asien verschlossen und der
nächtens in einem Gesicht einen Mazedonier sah und ihn rufen hörte: Komm herüber und hilf
uns (Apg 16, 6 – 10) – diese Vision darf als Verdichtung des von innen her nötigen Aufeinanderzugehens
zwischen biblischem Glauben und griechischem Fragen gedeutet werden.
Dabei war dieses Zugehen längst im Gang. Schon der geheimnisvolle Gottesname
vom brennenden Dornbusch, der diesen Gott aus den Göttern mit den vielen Namen
herausnimmt und von ihm einfach das Sein aussagt, ist eine Bestreitung des Mythos, zu der
der sokratische Versuch, den Mythos zu überwinden und zu übersteigen, in einer inneren
Analogie steht. Der am Dornbusch begonnene Prozeß kommt im Innern des Alten Testaments
zu einer neuen Reife während des Exils, wo nun der landlos und kultlos gewordene Gott
Israels sich als den Gott des Himmels und der Erde verkündet und sich mit einer einfachen,
das Dornbusch-Wort weiterführenden Formel vorstellt: „Ich bin’s.“ Mit diesem neuen
Erkennen Gottes geht eine Art von Aufklärung Hand in Hand, die sich im Spott über die
Götter drastisch ausdrückt, die nur Machwerke der Menschen sind (vgl. Ps 115). So geht der
biblische Glaube in der hellenistischen Epoche bei aller Schärfe des Gegensatzes zu den
hellenistischen Herrschern, die die Angleichung an die griechische Lebensweise und ihren
Götterkult erzwingen wollten, dem Besten des griechischen Denkens von innen her entgegen
zu einer gegenseitigen Berührung, wie sie sich dann besonders in der späten Weisheits-
Literatur vollzogen hat. Heute wissen wir, daß die in Alexandrien entstandene griechische
Übersetzung des Alten Testaments – die Septuaginta – mehr als eine bloße (vielleicht wenig
positiv zu beurteilende) Übersetzung des hebräischen Textes, nämlich ein selbständiger
Textzeuge und ein eigener wichtiger Schritt der Offenbarungsgeschichte ist, in dem sich diese
Begegnung auf eine Weise realisiert hat, die für die Entstehung des Christentums und seine
Verbreitung entscheidende Bedeutung gewann. Zutiefst geht es dabei um die Begegnung
zwischen Glaube und Vernunft, von rechter Aufklärung und Religion. Manuel II. hat wirklich
aus dem inneren Wesen des christlichen Glaubens heraus und zugleich aus dem Wesen des
Hellenistischen, das sich mit dem Glauben verschmolzen hatte, sagen können: Nicht „mit
dem Logos“ handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.
Hier ist der Redlichkeit halber anzumerken, daß sich im Spätmittelalter Tendenzen der
Theologie entwickelt haben, die diese Synthese von Griechischem und Christlichem
aufsprengen. Gegenüber dem sogenannten augustinischen und thomistischen Intellektualismus
beginnt bei Duns Scotus eine Position des Voluntarismus, die schließlich dahinführte zu
sagen, wir kennten von Gott nur seine Voluntas ordinata. Jenseits davon gebe es die Freiheit
Gottes, kraft derer er ja auch das Gegenteil von allem, was er getan hat, hätte machen und tun
können. Hier zeichnen sich Positionen ab, die denen von Ibn Hazn durchaus nahekommen
können und auf das Bild eines Willkür-Gottes zulaufen könnten, der auch nicht an die
Wahrheit und an das Gute gebunden ist. Die Transzendenz und die Andersheit Gottes werden
so weit übersteigert, daß auch unsere Vernunft, unser Sinn für das Wahre und Gute kein
wirklicher Spiegel Gottes mehr sind, dessen abgründige Möglichkeiten hinter seinen
tatsächlichen Entscheiden für uns ewig unzugänglich und verborgen bleiben. Demgegenüber
hat der kirchliche Glaube immer daran festgehalten, daß es zwischen Gott und uns, zwischen
seinem ewigen Schöpfergeist und unserer geschaffenen Vernunft eine wirkliche Analogie
gibt, in der zwar die Unähnlichkeiten unendlich größer sind als die Ähnlichkeiten, daß aber
eben doch die Analogie und ihre Sprache nicht aufgehoben werden (vgl. Lat IV). Gott wird
nicht göttlicher dadurch, daß wir ihn in einen reinen und undurchschaubaren Voluntarismus
entrücken, sondern der wahrhaft göttliche Gott ist der Gott, der sich als Logos gezeigt und als
Logos liebend für uns gehandelt hat und handelt. Gewiß, die Liebe „übersteigt“ die Erkenntnis
und vermag daher mehr wahrzunehmen als das bloße Denken (vgl. Eph 3, 19), aber sie
bleibt doch Liebe des Gottes-Logos, weshalb christlicher Gottesdienst λογικ λατρεία ist –
Gottesdienst, der im Einklang mit dem ewigen Wort und mit unserer Vernunft steht (vgl. Röm
12, 1).
Dieses hier angedeutete innere Zugehen aufeinander, das sich zwischen biblischem
Glauben und griechischem philosophischem Fragen vollzogen hat, ist ein nicht nur religionsgeschichtlich,
sondern weltgeschichtlich entscheidender Vorgang, der uns auch heute in
Pflicht nimmt. Wenn man diese Begegnung sieht, ist es nicht verwunderlich, daß das
Christentum trotz seines Ursprungs und wichtiger Entfaltungen im Orient schließlich seine
geschichtlich entscheidende Prägung in Europa gefunden hat. Wir können auch umgekehrt
sagen: Diese Begegnung, zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen
und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann.
Der These, daß das kritisch gereinigte griechische Erbe wesentlich zum christlichen
Glauben gehört, steht die Forderung nach der Enthellenisierung des Christentums entgegen,
die seit dem Beginn der Neuzeit wachsend das theologische Ringen beherrscht. Wenn man
näher zusieht, kann man drei Wellen des Enthellenisierungsprogramms beobachten, die zwar
miteinander verbunden, aber in ihren Begründungen und Zielen doch deutlich voneinander
verschieden sind.
Die Enthellenisierung erscheint zuerst mit den Grundanliegen der Reformation des 16.
Jahrhunderts verknüpft. Die Reformatoren sahen sich angesichts der theologischen Schultradition
einer ganz von der Philosophie her bestimmten Systematisierung des Glaubens
gegenüber, sozusagen einer Fremdbestimmung des Glaubens durch ein nicht aus ihm
kommendes Denken. Der Glaube erschien dabei nicht mehr als lebendiges geschichtliches
Wort, sondern eingehaust in ein philosophisches System. Das Sola Scriptura sucht demgegenüber
die reine Urgestalt des Glaubens, wie er im biblischen Wort ursprünglich da ist.
Metaphysik erscheint als eine Vorgabe von anderswoher, von der man den Glauben befreien
muß, damit er ganz wieder er selber sein könne. In einer für die Reformatoren nicht vorhersehbaren
Radikalität hat Kant mit seiner Aussage, er habe das Denken beiseite schaffen
müssen, um dem Glauben Platz zu machen, aus diesem Programm heraus gehandelt. Er hat
dabei den Glauben ausschließlich in der praktischen Vernunft verankert und ihm den Zugang
zum Ganzen der Wirklichkeit abgesprochen.
Die liberale Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts brachte eine zweite Welle im
Programm der Enthellenisierung mit sich, für die Adolf von Harnack als herausragender
Repräsentant steht. In der Zeit, als ich studierte, wie in den frühen Jahren meines akademischen
Wirkens war dieses Programm auch in der katholischen Theologie kräftig am Werk.
Pascals Unterscheidung zwischen dem Gott der Philosophen und dem Gott Abrahams, Isaaks
und Jakobs diente als Ausgangspunkt dafür. In meiner Bonner Antrittsvorlesung von 1959
habe ich mich damit auseinanderzusetzen versucht. Dies alles möchte ich hier nicht neu
aufnehmen. Wohl aber möchte ich wenigstens in aller Kürze versuchen, das unterscheidend
Neue dieser zweiten Enthellenisierungswelle gegenüber der ersten herauszustellen. Als
Kerngedanke erscheint bei Harnack die Rückkehr zum einfachen Menschen Jesus und zu
seiner einfachen Botschaft, die allen Theologisierungen und eben auch Hellenisierungen
voraus liege: Diese einfache Botschaft stelle die wirkliche Höhe der religiösen Entwicklung
der Menschheit dar. Jesus habe den Kult zugunsten der Moral verabschiedet. Er wird im
letzten als Vater einer menschenfreundlichen moralischen Botschaft dargestellt. Dabei geht es
im Grunde darum, das Christentum wieder mit der modernen Vernunft in Einklang zu
bringen, eben indem man es von scheinbar philosophischen und theologischen Elementen wie
etwa dem Glauben an die Gottheit Christi und die Dreieinheit Gottes befreie. Insofern ordnet
die historisch-kritische Auslegung des Neuen Testaments die Theologie wieder neu in den
Kosmos der Universität ein: Theologie ist für Harnack wesentlich historisch und so streng
wissenschaftlich. Was sie auf dem Weg der Kritik über Jesus ermittelt, ist sozusagen
Ausdruck der praktischen Vernunft und damit auch im Ganzen der Universität vertretbar. Im
Hintergrund steht die neuzeitliche Selbstbeschränkung der Vernunft, wie sie in Kants
Kritiken klassischen Ausdruck gefunden hatte, inzwischen aber vom naturwissenschaftlichen
Denken weiter radikalisiert wurde. Diese moderne Auffassung der Vernunft beruht auf einer
durch den technischen Erfolg bestätigten Synthese zwischen Platonismus (Cartesianismus)
und Empirismus, um es verkürzt zu sagen. Auf der einen Seite wird die mathematische
Struktur der Materie, sozusagen ihre innere Rationalität vorausgesetzt, die es möglich macht,
sie in ihrer Wirkform zu verstehen und zu gebrauchen: Diese Grundvoraussetzung ist
sozusagen das platonische Element im modernen Naturverständnis. Auf der anderen Seite
geht es um die Funktionalisierbarkeit der Natur für unsere Zwecke, wobei die Möglichkeit der
Verifizierung oder Falsifizierung im Experiment erst die entscheidende Gewißheit liefert. Das
Gewicht zwischen den beiden Polen kann je nachdem mehr auf der einen oder der anderen
Seite liegen. Ein so streng positivistischer Denker wie J. Monod hat sich als überzeugter
Platoniker bzw. Cartesianer bezeichnet.
Dies bringt zwei für unsere Frage entscheidende Grundorientierungen mit sich. Nur
die im Zusammenspiel von Mathematik und Empirie sich ergebende Form von Gewißheit
gestattet es, von Wissenschaftlichkeit zu sprechen. Was Wissenschaft sein will, muß sich
diesem Maßstab stellen. So versuchen dann auch die auf die menschlichen Dinge bezogenen
Wissenschaften wie Geschichte, Psychologie, Soziologie, Philosophie sich diesem Kanon von
Wissenschaftlichkeit anzunähern. Wichtig für unsere Überlegungen ist aber noch, daß die
Methode als solche die Gottesfrage ausschließt und sie als unwissenschaftliche oder
vorwissenschaftliche Frage erscheinen läßt. Damit aber stehen wir vor einer Verkürzung des
Radius von Wissenschaft und Vernunft, die in Frage gestellt werden muß.
Darauf werden wir zurückkommen. Einstweilen bleibt festzustellen, daß bei einem
von dieser Sichtweise her bestimmten Versuch, Theologie „wissenschaftlich“ zu erhalten,
vom Christentum nur ein armseliges Fragmentstück übrigbleibt. Aber wir müssen mehr
sagen: Der Mensch selbst wird dabei verkürzt. Denn die eigentlich menschlichen Fragen, die
nach unserem Woher und Wohin, die Fragen der Religion und des Ethos können dann nicht
im Raum der gemeinsamen, von der „Wissenschaft“ umschriebenen Vernunft Platz finden
und müssen ins Subjektive verlegt werden. Das Subjekt entscheidet mit seinen Erfahrungen,
was ihm religiös tragbar erscheint, und das subjektive „Gewissen“ wird zur letztlich einzigen
ethischen Instanz. So aber verlieren Ethos und Religion ihre gemeinschaftsbildende Kraft und
verfallen der Beliebigkeit. Dieser Zustand ist für die Menschheit gefährlich: Wir sehen es an
den uns bedrohenden Pathologien der Religion und der Vernunft, die notwendig ausbrechen
müssen, wo die Vernunft so verengt wird, daß ihr die Fragen der Religion und des Ethos nicht
mehr zugehören. Was an ethischen Versuchen von den Regeln der Evolution oder von
Psychologie und Soziologie her bleibt, reicht ganz einfach nicht aus.
Bevor ich zu den Schlußfolgerungen komme, auf die ich mit alledem hinaus will, muß
ich noch kurz die dritte Enthellenisierungswelle andeuten, die zurzeit umgeht. Angesichts der
Begegnung mit der Vielheit der Kulturen sagt man heute gern, die Synthese mit dem
Griechentum, die sich in der alten Kirche vollzogen habe, sei eine erste Inkulturation des
Christlichen gewesen, auf die man die anderen Kulturen nicht festlegen dürfe. Ihr Recht
müsse es sein, hinter diese Inkulturation zurückzugehen auf die einfache Botschaft des Neuen
Testaments, um sie in ihren Räumen jeweils neu zu inkulturieren. Diese These ist nicht
einfach falsch, aber doch vergröbert und ungenau. Denn das Neue Testament ist griechisch
geschrieben und trägt in sich selber die Berührung mit dem griechischen Geist, die in der
vorangegangenen Entwicklung des Alten Testaments gereift war. Gewiß gibt es Schichten im
Werdeprozeß der alten Kirche, die nicht in alle Kulturen eingehen müssen. Aber die
Grundentscheidungen, die eben den Zusammenhang des Glaubens mit dem Suchen der
menschlichen Vernunft betreffen, die gehören zu diesem Glauben selbst und sind seine ihm
gemäße Entfaltung.
Damit komme ich zum Schluß. Die eben in ganz groben Zügen versuchte Selbstkritik
der modernen Vernunft schließt ganz und gar nicht die Auffassung ein, man müsse nun
wieder hinter die Aufklärung zurückgehen und die Einsichten der Moderne verabschieden.
Das Große der modernen Geistesentwicklung wird ungeschmälert anerkannt: Wir alle sind
dankbar für die großen Möglichkeiten, die sie dem Menschen erschlossen hat und für die
Fortschritte an Menschlichkeit, die uns geschenkt wurden. Das Ethos der Wissenschaftlichkeit
ist im übrigen Wille zum Gehorsam gegenüber der Wahrheit und insofern Ausdruck einer
Grundhaltung, die zu den Grundentscheiden des Christlichen gehört. Nicht Rücknahme, nicht
negative Kritik ist gemeint, sondern um Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und -gebrauchs
geht es. Denn bei aller Freude über die neuen Möglichkeiten des Menschen sehen wir auch
die Bedrohungen, die aus diesen Möglichkeiten aufsteigen und müssen uns fragen, wie wir
ihrer Herr werden können. Wir können es nur, wenn Vernunft und Glaube auf neue Weise
zueinanderfinden; wenn wir die selbstverfügte Beschränkung der Vernunft auf das im
Experiment Falsifizierbare überwinden und der Vernunft ihre ganze Weite wieder eröffnen.
In diesem Sinn gehört Theologie nicht nur als historische und humanwissenschaftliche
Disziplin, sondern als eigentliche Theologie, als Frage nach der Vernunft des Glaubens an die
Universität und in ihren weiten Dialog der Wissenschaften hinein.
Nur so werden wir auch zum wirklichen Dialog der Kulturen und Religionen fähig,
dessen wir so dringend bedürfen. In der westlichen Welt herrscht weithin die Meinung, allein
die positivistische Vernunft und die ihr zugehörigen Formen der Philosophie seien universal.
Aber von den tief religiösen Kulturen der Welt wird gerade dieser Ausschluß des Göttlichen
aus der Universalität der Vernunft als Verstoß gegen ihre innersten Überzeugungen angesehen.
Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der
Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen. Dabei trägt, wie ich zu zeigen
versuchte, die moderne naturwissenschaftliche Vernunft mit dem ihr innewohnenden
platonischen Element eine Frage in sich, die über sie und ihre methodischen Möglichkeiten
hinausweist. Sie selber muß die rationale Struktur der Materie wie die Korrespondenz
zwischen unserem Geist und den in der Natur waltenden rationalen Strukturen ganz einfach
als Gegebenheit annehmen, auf der ihr methodischer Weg beruht. Aber die Frage, warum dies
so ist, die besteht doch und muß von der Naturwissenschaft weitergegeben werden an andere
Ebenen und Weisen des Denkens – an Philosophie und Theologie. Für die Philosophie und in
anderer Weise für die Theologie ist das Hören auf die großen Erfahrungen und Einsichten der
religiösen Traditionen der Menschheit, besonders aber des christlichen Glaubens, eine
Erkenntnisquelle, der sich zu verweigern eine unzulässige Verengung unseres Hörens und
Antwortens wäre. Mir kommt da ein Wort des Sokrates an Phaidon in den Sinn. In den
vorangehenden Gesprächen hatte man viele falsche philosophische Meinungen berührt, und
nun sagt Sokrates: Es wäre wohl zu verstehen, wenn einer aus Ärger über so viel Falsches
sein übriges Leben lang alle Reden über das Sein haßte und schmähte. Aber auf diese Weise
würde er der Wahrheit des Seienden verlustig gehen und einen sehr großen Schaden erleiden.
Der Westen ist seit langem von dieser Abneigung gegen die grundlegenden Fragen seiner
Vernunft bedroht und kann damit nur einen großen Schaden erleiden. Mut zur Weite der
Vernunft, nicht Absage an ihre Größe – das ist das Programm, mit dem eine dem biblischen
Glauben verpflichtete Theologie in den Disput der Gegenwart eintritt. „Nicht vernunftgemäß
(mit dem Logos) handeln ist dem Wesen Gottes zuwider“, hat Manuel II. von seinem
christlichen Gottesbild her zu seinem persischen Gesprächspartner gesagt. In diesen großen
Logos, in diese Weite der Vernunft laden wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner
ein. Sie selber immer wieder zu finden, ist die große Aufgabe der Universität.
Anmerkung: Der Heilige Vater hat sich vorbehalten, diesen Text später mit Anmerkungen
versehen zu veröffentlichen. Die vorliegende Fassung ist also als vorläufig zu betrachten.